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Viel Mühe nimmt der Connaisseur auf sich - feinstes Geschirr, allerfrischesten Direktimport aus dem Teegarten, umfassende Schulung sämtlicher Gaumenknospen - um sich den unverfälschten und wahren Genuss zuzuführen, den nur ein optimal zubereitetes Produkt zur Geschmacksentfaltung, ach was, -explosion bringen kann, um ja jede Gehirnzelle zu betören: Ja, das ist es! Jetzt hab’ ich’s!

Nun gibt es ein technisches Problem. Das ist die Wassertemperatur.
Tee - zumal schwarzer - verlangt kochend heißes Wasser zur Lösung aller Inhaltsstoffe. Der Kenner gießt zwar nicht sprudelnd kochendes Wasser drüber, sondern wartet und lässt ein paar Grad abfallen, aber auch dann hat der Tee immer noch reichlich 40 Grad Übertemperatur: Er ist nicht trinkbar, will man sich nicht die Zunge verbrühen. 
Also wartet der Teekenner ab. In dieser Wartezeit aber beginnt bereits der Alterungsprozess des Getränks. Man kann das an der Verfärbung von gelb zu gold zu braun direkt beobachten und selbst bei grobem Geschmacksempfinden herausschmecken: Der Tee verbittert. Das Optimum ist verpasst.

Die Findigen behelfen sich mit Milch und gießen kalte zu. Dann hat man ein Milchmischgetränk, aber keinen Tee mehr: Perdü der reine Genuss.
Andere nun kippen Kanne zu Kanne schnell hin und her und sind so mit Zwischentemperaturmessungen beschäftigt, dass die Konversation bei Tische leidet und die Gäste sich eher im Labor vermuten, als beim Teekränzchen.
Wieder andere bereiten einen Teesud und ergänzen diesen - nach langen Messreihen - mit der richtigen Menge Kaltwasser, das sie tassengerecht portioniert haben, um ja den optimalen Trinkpunkt des Maximalaromas, der bei etwa 69 Grad liegt, also im Wägpunkt zwischen Frische und Bitterung, nicht zu verpassen. 
Dies sind die Ingenieure der Teezeremonie, mithin die MINT-Leute, die nach aufwendiger Kurvendiskussion und präziser Grenzwertberechnung sämtliche Parameter in einen Annäherungspunkt kulminiert haben und letztlich doch am inhärenten Kompromiss zwischen Alltag und Wissenschaft scheitern. Wer schon tut sich solche Prozeduren an?

Kurzum: Die Suche nach dem Geschmacksoptimum, nach dem reinen Genuss artet aus in aufwändige technische Szenarien oder in kulinarische Unzulänglichkeit und wie in jedem magischen Viereck ist das eine nicht zu haben, ohne auf das andere verzichten zu müssen: 
Wer Tee richtig und optimal genießen will, handelt sich eine Menge Stress ein und konterkariert damit jeden Genuss.

Dabei haben wir - Ähh - über Kalkanteile im Brühwasser und deren geschmacksbeeinträchtigende Wirkung noch gar nicht gesprochen. Über Wasser generell. Über Blattentfaltungsräume. Kannen- und Tassenformen und deren Einfluss auf die Degustation. Über Mondphasen, Raumfeuchte und jahreszeitliche Bedingungsgefüge. Über Kindheitsprägungen und die Genderproblematik beim Teetrinken.

Die Experten haben - im Gegensatz zum Laien - die Lehre vom Optimum längst aufgegeben. Sie beurteilen ein Lebensmittel, Wein, Olivenöl, Butter, nicht nach Optimalgenuss, sondern nach Typgerechtigkeit. Schmeckt das Ding so, wie es schmecken sollte? Damit aber sind wir in der Mode, sprich der Relativität und nicht in der Spiritualität, also dort, wo ein jeder Kenner hin gelangen will, nämlich in die Istigkeit.

Was also spricht der Weise? Wie schält er sich aus dem Dilemma? Wie kann er noch unbefangen Tee trinken, ohne zu verzweifeln? 

Nun, Bodhidharma ging es nur um die Wirkung. Hierfür genügt auch eine Dose Red Bull. Klappt kalt wie warm: Die Gans ist raus!

ps
Dieser Beitrag bezieht sich auf diesen Koan:

Chokoglu brachte dem Meister eine Schale Tee. ‚Zu heiß‘, sprach der Meister.
Chokoglu brachte eine neue Schale. ‚Zu bitter‘, sagte der Meister. 
Nun kam Chokoglu mit einer dritten Schale an. ‚Zu dünn. Dieser Tee schmeckt nach gar nichts‘, entgegnete der Meister.

Viele Jahre lang brachte Chokoglu nun dem Meister Tee, aber niemals nahm der Meister eine Schale von ihm an. Immer hatte er etwas einzuwenden. Niemals fand eine Schale sein Genügen.
Da hörte Chokoglu damit auf, dem Meister Tee zu bringen.
Sofort rief der Meister: ‚Wo bleibt mein Tee?‘
 

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Vielen Dank für diesen netten und originellen Beitrag! Ein paar zufällige Gedanken hierzu:

vor 12 Minuten schrieb Thomas87:

Nun, Bodhidharma ging es nur um die Wirkung. Hierfür genügt auch eine Dose [...]

Ich kannte ihn ja nicht persönlich, und meine persönliche Voreingenommenheit spielt da sicher auch mit rein. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er angesichts gezuckerter Energiegetränke seine buddhistische Gelassenheit für einen Moment ausgesetzt hätte B).

 

vor 16 Minuten schrieb Thomas87:

 Der Kenner gießt zwar nicht sprudelnd kochendes Wasser drüber, sondern wartet und lässt ein paar Grad abfallen, aber auch dann hat der Tee immer noch reichlich 40 Grad Übertemperatur: Er ist nicht trinkbar, will man sich nicht die Zunge verbrühen. 

Also wartet der Teekenner ab. In dieser Wartezeit aber beginnt bereits der Alterungsprozess des Getränks.

Trick 17: Puppengeschirr. Gaaaanz kleine Tassen und Kännchen, und viele Aufgüsse machen. Die sind dann frisch und kühlen in sehr kurzer Zeit ab. Somit kann man sich über längere Zeit einem Tee widmen, und hat doch immer ganz frisch gebrühtes Göttergetränk, das nicht zu heiß ist. Im Volksmund auch als Gongfu-Tee bekannt.

 

vor 14 Minuten schrieb Thomas87:

Kurzum: Die Suche nach dem Geschmacksoptimum, nach dem reinen Genuss artet aus in aufwändige technische Szenarien oder in kulinarische Unzulänglichkeit und wie in jedem magischen Viereck ist das eine nicht zu haben, ohne auf das andere verzichten zu müssen: 
Wer Tee richtig und optimal genießen will, handelt sich eine Menge Stress ein und konterkariert damit jeden Genuss.

Hm.. ich behaupte einfach mal: Mit der Zeit kommt Gelassenheit und Geschick, und dann kommt man schon nah ans Optimum ran. Man erkennt, was überflüssig ist (für einen selber). Ich zB messe seit langem keine Ziehzeiten oder Temperaturen mehr. Ich hab das anfangs gebraucht zur Orientierung, mittlerweile bekomme ich - für mich - zufriedenstellende Ergebnisse so hin, ohne geschmackliche Einbußen hinnehmen zu müssen.

Und gerade, wenn man den Tee mit einem Achtsamkeits-Hintergrund trinkt, ist dies ja auch eine gute Gelegenheit, die entsprechende Haltung zu üben: Man bemüht sich ernsthaft, die Sache gut zu machen, und macht danach aber auch seinen Frieden mit dem Resultat. Hab neulich eine schöne Geschichte dazu gelesen, die auch schon fast Koan-artigen Charakter hat:

https://tricycle.org/magazine/good-fit/

 

Viel Spaß noch beim Trinken zwar nicht optimaler, aber doch gut genuger Tees 9_9

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Schöner Denkanstoß @Thomas87, der wunderbar ein grundlegendes Problem von vielen Dingen aufzeigt: Wenn man mit Verbissenheit an eine Sache rangeht, immer DIE beste Teekanne haben möchte, nur DEN absolut frischesten ultra-prerain-first-harvest-maidenplugged-moonshine-premium-highend-exclusive Tee trinken möchte, DIE perfekte Atemfrequenz und Fingerhaltung (kein Witz, was da so manche Japaner schon drüber diskutiert und geschrieben haben) beim Zazen, DEN ersten Platz bei was für einem Game auch immer, etc. kurz mit einer Erwartungshaltung Dingen begegnet und versucht, diese bis ins Kleinste zu durchleuchten, in dünne Scheibchen zu schneiden und in Schubladen zu stecken, damit man es auch 100%tig wieder so rekonstruieren kann nimmt man der Sache im Grund das, was einem Freude bereitet. Wenn ein Aufguss mal überraschend bitter/süß/whatever wird, freue ich mich darüber, dass ich diese neue Seite am Tee kennen lernen durfte, wenn das Wasser mal zu kalt ist, lerne ich dabei, wie der Tee darauf reagiert – manchen steht das besser als anderen, genau so wie manche Tees in der einen Keramik besser zur Geltung kommen als in anderer etc. aber immer lernt man etwas dabei, mit jedem einzelnen Aufguss. 

Darum benutze ich nie Thermometer, Waage oder Stoppuhr – und weil es den Teegenuss unnötig verkompliziert. Es ist sicherlich zu Beginn nicht verkehrt, sich gewisse Richtlinien anzueignen (nicht dass man jahrelang der Meinung war, Gyokuro sei ein grausiges, herbes und bitteres Gebräu, weil man es immer mit kochendem Wasser und 5 min Ziehzeit zubereitet hat), aber das hat man sehr schnell drauf und gerade Tee von etwas besserer Qualität vergibt meist recht viel was Temperatur und Ziehzeit angeht.

Und zumindest für mich ein sehr wichtiger Punkt: Das ganze lenkt vom Wesentlichen ab – vom Tee. Für mich ist Tee ein Katalysator, der mir Hilft mich zu konzentrieren, im Jetzt zu sein und die Welt da draußen sich einfach mal weiterdrehen zu lassen. Diese Wirkung geht verloren, wenn ich erst mal nachschlagen muss, ob für den Tee, den ich gerade auf eine Waage gefüllt habe (habe ich Tara gedrückt bevor oder nachdem ich das Behältnis für die Blätter auf die Waage gestellt habe?) 72,5 oder doch 73,9 Grad Wassertemperatur benötige, nur um dann eine Uhr auf 38 Sekunden zu stellen und entweder gebannt darauf warte, dass die Zeit abgelaufen ist oder bei längeren Ziehzeiten diese dazu nutze, um nochmal schnell meine ToDos für morgen durchzugehen nur um dann vom Läuten der Uhr überrascht zu werden und vor lauter Schreck mein Teeschälchen umstoße. Etwas überspitzt, aber wer sagt denn, dass das Ergebnis von dieser Methode (wenn es denn den Weg ins wieder aufgerichtete und hoffentlich noch heile Teeschälchen findet) tatsächlich besser ist, als das, wenn ich vielleicht etwas zu viel Blätter erwischt habe, mein Wasser gerade etwas zu weit abgekühlt ist und ich vielleicht etwas zu lange mit dem Abgießen gewartet habe? Zudem: Wie schmeckt guter Tee? Wie meine kleine Anekdote in einem anderen Thema erläutert ist es defacto so, dass Tee der (bzw. die Art diesen Aufzugießen) mir hervorragend schmeckt, anderen nicht schmeckt – mach ich es deshalb falsch oder habe ich kein Geschmack? Anderen liegt diese für mich sehr natürliche Art der Zubereitung vielleicht gar nicht und das Läuten der Teeuhr ruft hier im Gegensatz Vorfreude auf die gute Ostfrießenmischung hervor...

Im Grunde ist es auch egal, wie du deinen Tee zubereitest und ob die Methode das ausschließlich rein subjektive "Geschmacksoptimum" herausholt oder nicht – mach es so, wie du am meisten Spaß daran hast und wie dir dein Tee schmeckt. Und wenn doch mal etwas wirklich daneben gehen sollte, siehe es nicht wie der Meister von Chokoglu sondern nutze die einmalige Gelegenheit, um etwas mehr über das Thema Tee zu erfahren – probier evtl. sogar mal Dinge aus, die auf den ersten Blick oder laut allgemeiner Meinung eher unorthodox sind (z.B. ein eher dezenten, mittelalten Sheng in einem offenporigen Kännchen aufzugießen): im schlimmsten Fall lernst du "nur" etwas, im besten Fall enteckst du eine völlig neue Seite am diesem Tee, die dir u.U. sogar sehr gut gefällt.

Der "optimale Tee" ist der, der dir Freude bereitet :) 

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An miig und doumer:

‚Maidenplugged‘ kannte ich noch gar nicht. Hat mich sofort an die 24 Paradies-Jungfrauen erinnert, die den wahren Kämpfer erwarten und bei denen ich mich immer frage: Wo kommen die her? Und: Reichen die aus? Müssen ja zwangsläufig die Schwestern all der Kumpels sein, die da oben ebenfalls reiche Segnungen erwarten.

Ich habe meinen Tee-Fetischismus - wozu ist man lernfähig - ja bereits in meiner Espresso-Phase erledigt und dachte mir, diese Sektiererei wiederholst du beim Tee nicht.
Ja, ich bin ein Davongekommener und erlaube mir, Tee nur in geringer Dosis an Selbsttäuschung zu trinken.
Natürlich habe ich nach Entdeckung dieses Teeforums sämtliche Beiträge quergelesen und dachte mir: Wenn all dieser Tee-Enthusiasmus sich nur in einer Sprache artikuliert, die sich im Superlativ und im häufigen Gebrauch von ‚großartig‘ erschöpft, der also allenfalls Reaktionen heraufbeschwört, die sich in schnöder Ausdifferenzierung allen Materials manifestieren und im Glauben an das richtige Gerät banalisieren, dann kann ich mir all diesen Tee-Zirkus ersparen.

Denn wäre Tee ein göttliches Getränk, müssten wir dann nicht alle zu Göttern werden? 
Nun, bei mir hat’s nicht geklappt.
Diese Einsicht hat mich ungeheuer befreit und ich gewann eine ganz naive, kindliche Freude am Tee.
Natürlich bin zu tief konditioniert, um gänzlich frei zu sein von jeglichem Optimierungsdenken und erst recht vom Glauben an gut und schlecht und oben und unten und feiner und besser: noch besser, am besten und sämtlichen nachfolgenden Steigerungen. Aber so versklavt wie beim Espresso - datenbankgestützte Temperatur-Geschmacks-Korrelate - bin ich nicht mehr. 

Manchmal frage ich mich, wie ich mich dieser Teesache auf einem mittleren Weg nähern kann, ohne in den Niederungen des Beuteltees zu versacken, noch dem ganzen NonPlusUltra-Eskapismus zu verfallen.
Meist aber frage ich mich gar nicht und trinke ohne Hochmut, ohne Demut, ohne das ganze Bimbamborium das, was gerade im Regal steht, in der Tasse aus dem Schrank und dem Wasser aus dem Hahn.
Und ich gestehe, ich bin ein Ketzer der reinen Lehre: Ich trinke Tee mit Milch.
Aber ich halte nicht durch.


Dem alten Meister war die Schale Tee wieder einmal seinen zittrigen Händen entglitten.
Die Scherben lagen verstreut, die Dielen nass vom Tee.
Ito, der den verehrten Meister auf Schritt und Tritt begleitete,
warf sich zu Boden und bat um Vergebung.
Tosa, der die beiden schon länger beobachtete, nahm daraufhin den alten Meister still beiseite und sprach: ‚Tee-Weg: Teurer Weg.‘
Sofort ließ der alte Meister seine Schale fallen, aber Tosa fing sie geschickt auf.
Da sagte der Alte: ‚Tee-Weg. Wahrer Weg.‘
Tosa verbeugte sich, ging in die Küche und wies die Mönche an,
mehr Tee-Schalen zu kaufen.
 

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Was vielleicht ganz geschickt ist, ist, sich mal zu fragen, warum man eigentlich Tee trinkt.

Da gibt es nämlich ganz verschiedene Motivationen - für die einen steht die geschmacklich-aromatische Komponente im Vordergrund, für andere die kulinarische, andere machen das aus gesundheitlichen Gründen (halte ich persönlich für schwierig, aber gut..). Manche mögen es sehr technisch und verspielt, manche praktizieren das Teetrinken als Achtsamkeitsarbeit, andere sind auf der Jagd nach den erlesensten und brilliantesten Qualiäten und den perfekten Utensilien, um diese Qualitäten auf höchster Weise scheinen zu lassen Und so weiter... die Motivationen sind so verschieden wie die Teetrinker selber, aber ich glaube nicht, dass wir hier eine Gruppe sind, die nur ultra-premium macht. Wobei das natürlich Definitionssache ist - für die meisten hier ist ein Tee für 12€ / 100g wohl nichts dramatisch luxuriöses,  aber definitiv eine Qualität, die man respektiert.

vor einer Stunde schrieb Thomas87:

‚Maidenplugged‘ kannte ich noch gar nicht.

Ich auch nicht :) Das wird halt gern als Metapher hergenommen, um eine übertriebene Mystifizierung der Sache zu karikieren, ähnlich wie ur-ur-uralte Teebäume und grandiose Teemeister.

vor einer Stunde schrieb Thomas87:

Manchmal frage ich mich, wie ich mich dieser Teesache auf einem mittleren Weg nähern kann, ohne in den Niederungen des Beuteltees zu versacken, noch dem ganzen NonPlusUltra-Eskapismus zu verfallen.

Das ist wohl eine gute Frage. Halte mich für jemanden, der sich da auch nicht mehr allzu sehr auf Top-Qualitäten fokussiert. Für mich ist wichtig, meistens Tee aus dem Mittelfeld zu trinken und sich zu besonderen Gelegenheiten etwas wirklich erlesenes zu gönnen, das dann auch wirklich zu würdigen. Bin gespannt, zu welchen Antworten zu gelangst :)

 

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An miig:
Zitat: ‚ …. warum man eigentlich Tee trinkt. Da gibt es nämlich ganz verschiedene Motivationen ….’

Ja, der arme Tee! Was er alles leisten soll!

Wäre der Tee ein Schulbub, würde ihn die Verwandtschaft geistig massakrieren: Du musst Lokomotivführer werden, fordert der Papa. Nein, Künstler!, die Mama. Kommt der Onkel daher: Selbstverständlich muss er ins obere Management. Und die Tante: Handwerk hat goldenen Boden! Alle zerren sie an dem Tee-Bub herum mit tausend Ansprüchen und wenn der Bub klug ist, sagt er sich: Ihr könnt mich mal …!

Das erinnert mich an die Mutter, die ihrem Sohn zu Weihnachten zwei Krawatten schenkt. Kommt der Sohn HeiligDreiKönig zu Besuch, hat sogar eine der Krawatten angelegt. Zieht die Mutter eine Schnute und sagt: Die andere gefällt Dir wohl nicht.

Die Psychologen nennen das einen Doublebind: Was immer auch der Sohn macht, dieser Mutter kann er nichts recht machen. Bateson sah darin eine der Ursachen für Schizophrenie.

Und jetzt der Tee. Eine eigentlich unscheinbare Pflanze, die nun die Bedürfnisse einer Menschheit erfüllen soll, die ihr psychisches Verlangen ins Materielle entäußert hat und glaubt, wenn man nur viel und das richtige kauft, irgendwann den glückseligen Zustand erlangen zu können.
Man glaubt, Geist mit Materie füttern zu müssen; was natürlich nicht gelingt und nie gelingen kann, nicht einmal, indem man unaufhörlich produziert und konsumiert. Ja, die Konsumschleife ist der schiere Beweis für das komplette Versagen des Weiter!, Besser!, Mehr!.

Könnte man seinen Tee gänzlich ohne Motivation trinken, wäre nicht nur der Tee von allen Ansprüchen befreit, sondern man selbst auch. Denn die Erwartung an den Tee ist in derselben Knechtung wie jene an das geschundene Ich: Welch großen Gefühle soll mir diese Tasse bescheren und abverlangen! Welch außerordentliches Glücksempfinden erfordert dieser ganz besondere Tee, den ich mir da kredenze! Und muss ich nicht ein Beseeltes in mir evozieren, das dem edlen Geschirr um mich herum adäquat ist …?

Das meine ich mit Stress
Es sind ja nicht nur die äußeren Umstände, das umständliche Hantieren mit den kostbaren Utensilien, den teuren Einkäufen, dem ganz speziellen Strauchgeblüt, sondern die inhärente Erwartung, dass ich als Teetrinker nun auch mein seelisches Inventar all dem angleichen muss. 
Ich muss etwas spüren und wenn ich nichts spüre, bin ich ein Troglodyt dumpfesten Charakters, ein unreifer Mensch, nicht würdig, nicht sensibel genug für die ganz feinen Blätter.
Und selbstverständlich muss mein Teegenuss gefühlsecht sein und gefühlsrichtig. 
Wer beim Teetrinken eine Erektion bekommt, riskiert, sofern er diesen Umstand überhaupt sozialdynamisch in die Mitteilung bringt, gesellschaftliche Ächtung. 
Man muss sich also nicht nur generell Gefühle zulegen, sondern auch solche, die sich im Rahmen des geistigen Horizontes der Mittrinker bewegen. 
Die Oberschlauen haben da gleich einen Tee-Weg daraus kreiert: Eine Art von Rosenkreuzer-Aufstieg in die heiligen Hallen der Selbstentäußerung.

Solcher Teegenuss erscheint in vollkommener Verelendung von Intelligenz und ähnelt mehr und mehr den Kategorien der Porno-Kanäle, wo vom Fußfetischismus bis zum Freiluftsex für jedes Plaisir die entsprechende Rubrik zu finden ist.
Tee und Sex. 
Oh, das Thema gibt’s hier noch gar nicht! 


Ito, der versteckt im hinteren Teil des Gartens seinen eigenen Teestrauch pflegte,
begann zu bemerken, dass diesem regelmäßig Blätter fehlten, die er selber nicht gepflückt hatte.
Er schalt sich seiner Eifersucht, seiner Wut und vergeblich versuchte er, seinen Zorn hinweg zu meditieren.
All sein Zazen mißlang und er beschloss, sich, indem er Rache nahm, damit zu heilen.
Er warf nun ein prüfendes Auge auf alle Mönche und nahm selbst den Meister davon nicht aus, der ungeachtet aller Tattrigkeit von schalkhaftem Gemüt war.
Tosa, der wußte, wie sehr dem Abt an Ito gelegen war, und dem seinerseits kein Schritt von Ito entging, verkündete plötzlich den Ausfall der abendlichen Tee-Zeremonie mangels Tee: Alle Vorräte wären erschöpft und verbraucht.
Ein unhörbares Murren ging durch die Mönche. 
Obwohl alle Itos kleines Geheimnis kannten, wagte keiner der Mönche an den Teestrauch im Garten zu erinnern, denn auch von den Mönchen hatte doch ein jeder seine eigene kleine Heimlichkeit.

Da sprach in die Stille hinein der Meister: ‚Ich habe noch eine Dose für Gäste.‘
Da das Kloster niemals Gäste empfing, wußte jeder, wer mit ‚Gast‘ gemeint war und man zwinkerte sich verstohlen zu.
Nun sagte Tosa: ‚In meinem Kessel ist das Wasser noch warm.‘
Auch hier wußte ein jeder, dass es streng verboten war, eigene Gerätschaften in seiner Kammer zu verwahren oder gar zu nutzen.
Nun rief auch Ito: ‚Im Garten ist ein Teestrauch versteckt!‘
Da liefen nun auch die Mönche, ihre Schalen zu holen.

Als alle in der Halle zusammen kamen, öffnete der Meister die Dose:
Aber die Dose war leer. Es war kein Tee darin.
Auch Tosa hob den Deckel der Kanne: Auch sie war leer. Es war kein Wasser darin.
Nur Ito hatte den Korb voller Teeblätter.

Da sprach der Meister: ‚Wasser, Kanne, Tee: Selbe Quelle.‘
Er griff in den Korb, warf davon eine Handvoll Teeblätter in den Kessel und füllte dann seine Dose damit auf.
Tosa lief hinaus und brachte einen Krug frischen Wassers mit.
Die Mönche besorgten Zunder und Brennholz.

Niemals mehr wurde von Itos Strauch ein Blatt gezupft, auch nicht von ihm. 
Die Pflanze überwucherte das ganze Eck und wuchs sogar über die Mauer.
Ihr Stamm wurde so kräftig, dass die Mönche daran hochklettern konnten,
um sich heimlich in die Stadt zu stehlen.

Wenn sich die in den Zeitläufen verstreuten Mönche im betagten Alter zufällig wieder trafen,
kam die Rede immer auf diesen einen Abend: Auf diese eine Tee-Zeremonie und ihre eine Wahrhaftigkeit.


 

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